Zwischen Mensch und Maschine

Den meisten dürfte es schwer fallen, sich für Partien zwischen zwei Computerprogrammen zu begeistern, mögen sie auch noch so gut rechnen.
Das geht mir nicht anders.
Doch wenn Computer plötzlich nicht mehr nur rechnen, sondern in geradezu menschlicher Weise Muster erkennen und Partien von positioneller Schönheit produzieren, indem sie einen roten Faden bis zum Schluß verfolgen, mache ich eine Ausnahme. Dies geschieht nämlich in letzter Zeit immer häufiger. Der Grund dafür ist das neuronale Netzwerk Leela Chess Zero, oder kurz Leela, wie alle sie nennen.
"Leela" ist nämlich weiblich - zumindest glauben das hunderte ihrer Fans. Sie ist launisch, treibt ihre Anhänger zur Verzweiflung, indem sie gewonnene Stellungen teils hundert Züge in die Länge zieht, Bauern partout nicht zur Dame verwandeln will oder in einer brillianten Partie wieder einen Aussetzer hat, der einen halben Punkt kostet.
Aktuell ist das in einem auf 100 Partien angesetzten "Superfinale" gegen die jahrelange Referenz der Programme "Stockfish" zu verfolgen. Nach 70 Partien führt Leela mit einem Punkt Vorsprung trotz klarer partieller Schwächen. Stockfish ist - wie von herkömmlichen Engines nicht anders zu erwarten - ein taktisches Ungeheuer, doch Leela hat ein positionelles Händchen wie einst Jan-Ove Waldner im Tischtennis.
Bemerkenswert auch ihre Tal'sche Einstellung zu Material, Zeit und Raum. Leela hat nämlich keine Figurenwerte eingeimpft bekommen, sondern ihr Schachwissen ausschließlich durch Partien gegen sich selbst erlernt. Das führt regelmäßig zu rein positionellen Opfern zu denen herkommliche Programme nicht fähig sind. Leelas enormes Schachwissen hat allerdings den Haken, daß sie grob 1000x weniger Stellungen untersuchen kann als ihr erbsenzählender Gegner.
Trotzdem ist auch Leela dem Menschen taktisch überlegen, die Spielweise und Funktionsweise! jedoch ist weitaus menschlicher als man das von Computern kennt. Immerhin sind auch wir neuronale Netzwerke!

Also Butter bei die Fische und her mit einer spektakulären Französisch-Partie. Leela verfolgt aus der Eröffnung heraus ein Motiv: Sie sieht die Gelegenheit den gegnerischen Th8 zumindest zeitweise aus dem Spiel zu nehmen. Ohne Rücksicht auf Material beharrt sie darauf, daß Stockfish mit einem Turm weniger auskommen muß. Tatsächlich wird dieser Turm bis zur Aufgabe der Partie keinen einzigen Zug machen.

Das Läufer-Rückopfer Lg6! ist die Einleitung, worauf auch gut ein Mensch kommen könnte. Während Stockfish nicht unzufrieden mit der Stellung ist, sieht sich Leela längst auf der Siegerstraße und hat bereits die grandiosen Baueropfer 26.g4!! und 27.e6!! im Auge. Trotz dreier Mehrbauern ist Schwarz nicht in der Lage sich zu befreien:


RTL

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